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Schwerpunkt

Gott im Blick

Jahrhundertelang wurde der Blick auf den Reformator Martin Luther durch den konfessionellen Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten verzerrt. Was kein Wunder war, denn die Konsequenz dessen, was mit dem Thesenanschlag Luthers am 31. Oktober 1517 in Wittenberg begann, war eine weltgeschichtliche Zäsur.

So sahen die einen in Martin Luther den Gründer einer neuen Kirche, die anderen in ihm den Zerstörer der kirchlichen Einheit. Mit allen zum Teil blu- tigen und für Deutschland und Europa verheerenden Folgen wie zum Beispiel dem Dreißigjährigen Krieg, dem Millionen Menschenleben zum Opfer fielen und der ganze Regionen für lange Zeit verwüstete und der als konfessionellen Auseinandersetzung begann.

Mit dem Entstehen der evangelischen Kirche wurde unbestritten die Einheit der Kirche zerstört – wobei es schon in den Jahrhunderten zuvor, ja fast seit Beginn der Kirchengeschichte zu Abspaltungen gekommen war – und natürlich ist diese Entwicklung eng mit der Person Martin Luthers verwoben, doch ist der heutige Blick auf den Reformator viel differenzierter, und wie bei allen Menschen existieren auch bei ihm Licht- und Schattenseiten.

Ein Aspekt seines überaus vielschich- tigen Wirkens möchte ich heute unter der Überschrift „Gott im Blick“ nennen. Im Mittelalter hatte sich – um es einmal sehr holzschnittartig zu formulieren – die Kirche als Vermittlerinstanz zwischen Gott und die Menschen „geschoben“. Papst, Bischöfe und Priester waren es, die die Menschen durch Sakramente und Gottesdienst in Kontakt mit Gott brachten.

Oder – negativ formuliert – die den Menschen den eigenständigen Blick auf Gott versperrten. Eine immer „kompli- ziertere“ Theologie und die lateinische Sprache waren unüberwindbare Bar- rieren, die Luther, wenn schon nicht beseitigte, so doch reduzierte.

Zuallererst dadurch, dass die deutsche Sprache Glaubenssprache wurde – durch die Übersetzung der Bibel und das Beten und Singen in deutscher Sprache. Natürlich konnten viele Menschen damals nicht lesen, doch sie waren jetzt in der Lage, das Gehörte zu verstehen.

Gott „rückte in den Vordergrund“ und kirchliche Hierarchie etwas in den Hintergrund, weil den Menschen ein direkterer Zugang zu Gottes Wort möglich wurde und Vermittlungs-Instanzen an Bedeutung verloren. Ein Schritt von nicht zu überschätzender Bedeutung, die sich natürlich erst mit der Zeit voll entfaltete.

Michael Tillmann

 
 
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